Montag, 24. Dezember 2007

1. Unterstuetzerbrief

Frohe Weihnachten wuensche ich euch allen, auch wenn mir hier nicht wirklich danach ist, und einen guten Rutsch ins neue Jahr!!

Damit ihr ueber die freien Tage was zu tun habt, habe ich meinen 1. Unterstuetzerbrief angehangt, eine Zusammenfassung meiner bisherigen Zeit hier.


Puerto Cabezas/Bilwi, 2. Dezember 2007

Lieber Unterstützer, Verwandte, Freunde,

Freiwilligendienst in Nicaragua, antwortete ich immer, wenn ich gefragt wurde, was ich nach dem Abi machen werde, in Puerto Cabezas, an der Atlantikküste Nicaraguas. Aber wer kennt schon Nicaragua? Kaum jemand; ich ja auch nicht; und wirklich vorstellen, wie es sein wird, konnte ich mir nicht. Nun bin ich schon drei Monate in dem fernen, unbekannten Land; Monate, die wie im Fluge vergingen, prasseln doch so viele neue Eindrücke auf einen ein; Monate, die man braucht, um sich einzuleben.
Vieles ist anders, gewöhnungsbedürftig, aber auch schön zu erfahren, wie die Welt und die Menschen noch sein können.

Startschuss im August
Mein Friedensdienst startete am 25. August mitten in der Nacht mit der Fahrt zum Frankfurter Flughafen, von wo aus Moritz, mein Mitfreiwilliger, und ich Richtung Lateinamerika aufbrachen. Die Abschied fiel mir relativ leicht, überwiegte doch die Vorfreude auf das „Neue“ und „Unbekannte“, außerdem: ich wollte einfach mal raus aus Deutschland, was anderes sehen, erleben, meinen Horizont erweitern, was sinnvolles tun.
Bis ich jedoch meinen eigentlichen Einsatzort erreichen sollte, verging noch ein guter Monat. Die Reise an sich nach Nicaragua war ziemlich anstrengend: zunächst ging’s nach Amsterdam, dort 5 Stunden Aufenthalt, 12 Stunden Flug nach Miami, ewiges Warten an der Passkontrolle mit indiskreten Fragen und Fingerabdrucknahme der Amis, 2 Stunden Flug nach San José, wo wir abends Ortszeit, nach knapp 30 Stunden „Unterwegssein“ ankamen. Nach einer kurzen Nacht in Costa Rica ging’s weiter mit dem Bus nach Managua, die Hauptstadt Nicaraguas; weitere 10 Stunden Fahrt mit zwischenzeitlichem Warten an der Grenze; am Terminal in Managua erwarteten uns unsere Vorgängerinnen Lisa und Johanna. Gemeinsam ging’s in eine Hospedaje und zum ersten Mal nicaraguanisches Essen kosten; dabei berichteten uns die beiden von ihrer Zeit in Puerto Cabezas, der Arbeit, etc. Am nächsten Tag verließen uns die beiden schon in Richtung Deutschland; wir blieben mit einem unwohlen Gefühl, fertig von der Reise, erschlagen von den ganzen neuen Eindrücken und Informationen, der Hitze, etwas verloren in dieser riesigen, unübersichtlichen und gefährlichen Stadt; der Kulturschock hatte uns schon ein bisschen getroffen. Da waren wir ganz froh um die Gesellschaft von Martin, einem Österreicher der die vergangenen neun Monate in Puerto als Freiwilliger gelebt und uns ebenso viel zu erzählen hatte.

Besonders gewöhnungsbedürftig war am Anfang das ständige Hinterhergepfeife und –gezische, teilweise Katzenlauten ähnlich, begleitet von „Adiós“, „gringa“ (Nordamerikanerin), „chelita“ (Weiße) und „bonita“ (Schöne) –Rufen. Der Machismos ist nicht zu überhören und zu übersehen, die Rollenverteilung ist in der Mehrheit der Fälle eindeutig: Frau kocht, putzt, wäscht und passt auf die Kinder auf, der Mann geht arbeiten (wenn er welche hat).
Anstrengend war zudem anfangs das ständige Angestarrtwerden aufgrund der anderen Hautfarbe. Als Weißer fällt man hier einfach auf, daran muss man sich gewöhnen; auch daran, dass man immer wieder um Geld angebettelt wird.

Sprachkurs in Estelí
Zwei Tage nach unserer Ankunft in Managua fuhren wir ins 150 km entfernt gelegene Estelí, wo wir einen Monat verbringen sollten, mit Spanisch verbessern bzw. lernen, eingewöhnen und den Westen Nicaraguas kennen lernen.
In Estelí habe ich mich von Anfang an wohl gefühlt; in der Sprachschule „Los Pipitos“ genauso wie in unseren Gastfamilien wurden wir sehr herzlich empfangen. Die Wochentage verbrachten wir nun morgens mit Spanisch pauken, die Nachmittage nutzen wir Schüler aus USA und Deutschland zum Kaffee oder „fresco“ (selbstgemachte Fruchtsäfte) trinken, reden, Stadt erkunden, planen, chillen,.. An den Wochenenden haben wir Ausflüge gemacht, zu zwei Naturreservaten, Miraflor und Tisey, sowie nach Condega und Granada. Dabei hat mich vieles beeindruckt: die Landschaft und Natur des Landes mit Vulkanen, Kaffeepflanzen, Bananenstauden und wunderbar blühenden Pflanzen; die Menschen, immer freundlich und aufgeschlossen, bereit auf Fragen zu antworten und Katharina und Gene, ein deutsch-polnisches Ehepaar, die wir auf ihrer Finca in Miraflor besucht haben und die uns die nicaraguanische Kultur, Geschichte und Eigenheiten nähergebracht haben. In Condega haben wir ein abgeschossenes Flugzeug aus den 80ern angeschaut, in Granada die wunderbaren Häuser im Kolonialstil, wo es uns vom Ambiente aber ansonsten nicht so gefallen hat; zu touristisch. Zudem haben wir während unserer Zeit in Estelí einige Freundschaften geschlossen, mit Nicas, Amis und Kanadierinnen, mit denen wir u.a. das Nachtleben erkundet haben, Toña getrunken und getanzt haben.

Felix und die Costa
Anfang Oktober ging’s dann endlich in Richtung Costa Atlántica, mit 5-tägigem Zwischenstopp in Managua, wo wir ein paar Sachen erledigen mussten und sehr lustige Tage bei Jakob und Christoph verbrachten, unserer zweiten „Familie“. Wir kannten die beiden schon von einem Seminar in Deutschland und hatten die beiden dann in Granada wiedergetroffen und uns super verstanden. Bei diesem Aufenthalt stellten wir außerdem fest: Managua ist doch nicht so schlimm, wie wir es in Erinnerung hatten.
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Als wir den Flieger nach Puerto Cabezas bestiegen, waren wir dann ziemlich aufgeregt: was würde uns dort erwarten, nachdem der Hurrikan Felix am 4. September eine Schneise der Verwüstung hinterlassen hatte? Viele Menschen waren ums Leben gekommen, Häuser beschädigt bzw. zerstört, Tausende Bäume entwurzelt, Ernten vernichtet, wie ich in Estelí im Fernsehen verfolgt hatte und wie ich beim Landeanflug selbst sehen konnte. Wobei zu diesem Zeitpunkt hatte sich die Lage in Puerto direkt relativ beruhigt, die Comunidades waren und sind immer noch das Problem. Hier wurde die Lebensgrundlage der Menschen, die Ernten, zerstört, Selbstversorgung ist für die nächsten Monate nicht möglich, sie sind auf Hilfsgüter angewiesen.

Empfangen wurden wir in unserer neuen „Heimat“ von Verantwortlichen der Iglesia Morava, darunter Exdel, der für die Freiwilligen zuständig ist und mit dem ich jetzt ständig zusammen arbeite. Anschließend bezogen wir „unser“ Haus, zu dem Zeitpunkt ziemlich verdreckt und ohne Strom, Folge von Felix. Für uns bedeutete das, erst mal putzen, putzen, putzen,...dabei bekamen wir Unterstützung von Jugendlichen von AJECIM, der Jugendorganisation der Iglesia Morava, was uns das wohl fühlen einfach machte.
„Unser“ Haus ist Teil des Areals von ADSIM, dem Sozialwerk der Kirche; die eine Hälfte ist Klinik, die andere unser derzeitiges Zuhause. Wie schon angesprochen hatten wir anfangs keinen Strom, da eine Stromleitung fehlte, die beim Hurrikan zu Schaden gekommen war. Als wir in Puerto ankamen, wurde uns mitgeteilt, dass die fehlende Leitung in 2-3 Tagen kommen solle. Doch Nicaragua ist halt nicht Deutschland… erst nach drei Wochen haben wir den heiß ersehnten Strom bekommen. Klar kann man auch ohne elektrische Energie leben, aber mit ist doch eine Erleichterung, das können wir eindeutig feststellen, gerade was Licht und Kühlschrank betrifft. Hier wird es nämlich schon gegen halb sechs Uhr dunkel.

Leben in einem Entwicklungsland
Ansonsten, wie sind die Lebensbedingungen hier? Nicaragua ist das zweitärmste Land Lateinamerikas, die Arbeitslosenquote ist sehr hoch, wie hoch kann keiner genau sagen (nach mündlicher Überlieferung liegt sie hier in Bilwi bei ca. 60 - 70 %); 2005 lebten fast 80% der nicaraguanischen Bevölkerung von unter 2 USD pro Tag laut Auswärtiges Amt. Hier an der Atlantikküste ist der Lebensstandard noch mal niedriger als an der Pazifikküste Nicaraguas, d.h. es gibt kein fließendes Wasser und der Strom fällt noch öfter aus als im Westen des Landes. Für Moritz und mich bedeutet das, Wasser aus dem Brunnen holen (wenn’s nicht gerade geregnet hat, dann fangen wir Regenwasser auf) für die Toilette, Geschirr spülen, putzen, Kleider waschen, duschen. Der Strom fällt teilweise mehrmals pro Tag aus, mal nur kurz, mal für mehrere Stunden. Arbeiten am Computer stehen dann still, da heißt es warten. Woran man noch sieht, dass Nicaragua ein Entwicklungsland ist? An den großen Familien mit vielen Kindern, die teilweise auf engstem Raume zusammen wohnen, dem Müll, der überall herumliegt und statt adäquat entsorgt wie in Deutschland vor der Haustür verbrannt wird, den extrem viele streunenden Hunden. Problematisch ist außerdem die ärztliche Versorgung, denn gut ausgebildete Ärzte sind Mangelware.

Die Iglesia Morava und meine Arbeit
In meiner Freiwilligenzeit arbeite ich für die Iglesia Morava (Mährische Kirche), die ihren eigentlichen Ursprung in Deutschland hat. 1849 kamen die ersten Missionare aus Herrenhut an die Costa Atlántica und gründeten die erste Mährische Kirche in Bluefields, viele weitere folgten. Mittlerweile gibt es so gut wie keine Comunidad ohne Iglesia Morava, allein in Puerto gibt es 14.
Bis zum 15. Januar sollen alle Kräfte der Kirche gebündelt werden, um die Probleme, die im Zusammenhang mit dem Hurrikan Felix aufgetreten sind, zu lösen. Das gilt auch für uns Freiwillige, deswegen liegen Teile der eigentlichen Freiwilligenarbeit zur Zeit noch auf Eis, wie z.B. der Englischunterricht. Das ist schade, denn überarbeiten tue ich mich nicht und die Nachfrage besteht.
Bis Januar arbeite ich nun für die Jugendorganisation der Kirche AJECIM (= Asosiación Juvenil Esfuerzo Christiano de la Iglesia Morava), anschließend werden wir die Aufgaben neu definieren und verteilen.
Die ersten zwei Wochen habe ich an einem „Censo“, einer Volkszählung, die nach dem Hurrikan in den Comunidades durchgeführt wurde, gearbeitet. Dazu habe ich eine Statistik über die Bevölkerungszahl- und Zusammensetzung jeder Comunidad erstellt. Ansonsten habe ich Aufgaben übernommen wie Kostenvoranschläge erarbeiten, was abtippen oder ich habe an Versammlungen teilgenommen. Einen Tag bin ich mit in die Comunidades gefahren, um Essen zu verteilen. Diese Reise war ziemlich anstrengend, aufgrund der schlechten Straßen (wir saßen hinten auf dem Transporter drauf) und der Dauer; von morgens bis abends um 10 Uhr. Trotz alle dem war die Reise sehr interessant, aber auch traurig anzusehen, was eine Naturkatastrophe anrichten kann. In der Comunidad Sisin gab es kaum ein Haus mit Dach und man hatte das Gefühl, alle Bäume sind weg; bei einer zweiten Begegnung erzählte eine Frau, sie äßen fast nur noch Reis, was anderes gäbe es nicht. Andererseits war es so auch ein schönes Gefühl; zu wissen, den Menschen helfen zu können, sei es in Form von Lebensmitteln, oder allein durch deine Präsenz; denn viele Ortschaften hatten bis dahin noch gar keine bzw. nur ein Mal eine minimale durch die Regierung erfahren.
Seit November bin ich hauptsächlich dabei mit Exdel, dem Coordinador Pastoral de la Juventud, die Internationale Konferenz ID (=Identidad), die vom 29.12.2007-10.01.2007 in Puerto Cabezas stattfinden wird, vorzubereiten. In Kooperation mit christlichen Jugendorganisationen aus Indien, Schweden und dem Congo wird diese Konferenz nun schon zum 3. Mal durchgeführt, diesmal in Nicaragua; teilnehmen werden je drei Jugendliche pro Land. Die Konferenz soll Raum bieten, um über verschiedene soziale Themen zu diskutieren, sich auszutauschen, die christliche Identität der nicaraguanischen Moravos kennen zu lernen sowie das christliche und soziale Engagement der Jugendlichen zu stärken. Konkret habe ich dafür z.B. das Programm mit aktualisiert und auf Französisch übersetzt. Mitte November war ich zudem mit einer Gruppe Jugendlicher von CLAI (=Consejo Latinoamericano de las Iglesias) aus Managua in zwei verschiedenen Comunidades, um Aktivitäten zum Thema „Cultura de Paz“ durchführen. D.h. wir haben gemeinsam mit den Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen ein großes Leinentuch bemalt und mit Fingerabdrücken verziert, zusammen gesungen, einen Bibeltext gelesen und eine kurze Andacht gehalten, verschiedene Leute haben Lieder vorgetragen, außerdem haben wir warme Milch und „picos“ (süße Teilchen“) verteilt. Besonders lustig bei diesem Anlass war mal wieder mein Name. Mein Spitzname Swanny, den ich hier benutze (Swantje ist einfach nicht auszusprechen), bedeutet mit langgezogenem „a“ auf miskito soviel wie „sauer“, was jedes Mal zu vielen Lachern v.a. bei den Kindern führt.
Dieses Wochenende war insgesamt eine sehr schöne Erfahrung! Das einzige, was mich ein bisschen gestört hat, war die Erwartungshaltung der Leute in Awastingni, einer sehr armen Comunidad. Klar haben sich die Menschen über unser Kommen gefreut, es aber auch als selbstverständlich angesehen, dass wir dorthin kommen und ihnen was geben. Insgesamt haben die Leute hier schon diese „Hand-aufhalten-Mentalität“ und zeigen zu wenig Eigeninitiative; das hat man gerade auch im Hinblick auf die Aufräumarbeiten nach dem Hurrikan gemerkt, die auf dem Land ziemlich schleppend vorangehen.
Im Allgemeinen darf man den Begriff Arbeit hier nicht so verstehen wie in Deutschland. Viel Arbeit besteht darin Versammlungen abzuhalten, bei denen zwar viel geredet wird, aber kaum produktives rauskommt. Konkrete Abmachungen und Planungen sind Mangelware, Organisation ist hier gleich Improvisation, was zum Scheitern eigentlich guter Projekte und Ideen führt.

Eine neue Aufgabe, die Moritz und ich im Januar beginnen werden, ist u.a. Englischunterricht im Gefängnis geben. Dazu hatten wir schon zwei Vorbereitungstreffen, eines mit den weiblichen Insassen selbst. Diese Arbeit wird nicht einfach werden, ist aber auf jeden Fall sehr sinnvoll und ich freue mich drauf. Auch deswegen, weil wir dann endlich ein festes Projekt haben, in dem wir kontinuierlich arbeiten. Das ist bisher nicht der Fall und hat schon bei unsern Vorgängerinnen für Unmut gesorgt; ein Problem ist, dass die Freiwilligenarbeit für die Kirche nicht genau definiert ist und zudem nicht ausreichend ist. Eine Option wäre, mit anderen ortsansässigen Organisationen zusammen zu arbeiten, wie z.B. der Comisión Antidroga, aber dagegen stellt sich die Iglesia Morava. Unsere Vorgängerinnen haben in dieser Hinsicht schon angefangen, Aenderungen einzuleiten; Moritz und ich wollen nun diese Aufgabe weiterführen, d.h. den Friedensdienst zu öffnen und die Aufgaben genauer zu definieren, sodass jede/r nachfolgende Freiwillige/r hier von Anfang an sinnvoll arbeiten kann.

Culto, culto, culto,...
Was zu meiner Arbeit auch dazu gehört, ist zur Kirche zu gehen und an sonstigen Aktivitäten meines Arbeitgebers, der Iglesia Morava, teilzunehmen; das ist teilweise ziemlich anstrengend, dauern die Gottesdienste doch teilweise mehrere Stunden und sind dann noch hauptsächlich auf miskito gehalten, der indigenen Sprache, die von der Mehrheit hier gesprochen wird. Diese „cultos“ sind nicht vergleichbar mit den Gottesdiensten in Deutschland; das Augenmerk liegt nicht auf der Predigt, sondern auf dem vielen Singen und Beten.
Mein erster miterlebter “culto” (Gottesdienst) dauerte 3 ½ Stunden! In diesem „culto“ wurden Moritz und ich auch vorgestellt, besser gesagt wir mussten uns selber vorstellen, wozu auch gehört, irgendetwas zu präsentieren, was man kann. Hier heißt das meistens: singen. Gut, dass uns das vorher schon mitgeteilt wurde, so hatten wir zu Hause “Marmor, Stein und Eisen bricht” eingeübt, Moritz mit Gitarre, ich mit Gesang. Aber dann alleine vor knapp 200 Leute zu singen, ist doch noch mal was anderes (v.a. weil ich nicht wirklich singen kann). Ich war so froh, als in dem Moment der Strom ausgefallen war, so wurden wir nur von ein paar Kerzen beleuchtet. Aber das Lied kam gut an, vor allem das kleine Füllwörtchen “dam” hat den Leuten sehr gut gefallen, was auf miskito so viel wie „alt“ bedeutet.

Die Kirche ist in Nicaragua und an der Atlantikküste ganz besonders eine wichtige Instanz und ein Anlaufpunkt für die Menschen, die fast ohne Ausnahme religiös sind. Für meinen Geschmack hat die Kirche jedoch einen viel zu großen Einfluss auf das Leben jedes einzelnen Mitglieds, da sie die ganze Lebensweise vorgibt und dabei extrem konservativ ist; Moravos dürfen z.B. keinen Alkohol trinken, tanzen, rauchen, Sex vor der Ehe haben, wenn sie echte „cristianos“ sein wollen; Dinge die für uns in Deutschland ganz normal sind und die mir zeigen, wie liberal Europa doch ist. Frauen dürfen zudem nur mit Rock bzw. Kleid den Gottesdienst besuchen.
Diese konservative Haltung, die starke Abhängigkeit von der Kirche und die „Gott-wird’s-schon-richten“ - Mentalität führen meiner Meinung nach dazu, dass die Leute ihre Verantwortung sich und anderen gegenüber abgeben und wenig Eigeninitiative entwickeln.

Armut = viel Kriminalität
Ich habe schon so viel erlebt, beobachtet, erfahren, da fällt es nicht einfach, alles unterzubringen. Zwei Sachen möchte ich aber noch ansprechen, eine negative und eine positive.
Seit dem Hurrikan geht es vielen Menschen noch schlechter als vorher, was die Kriminalitätsrate hier in Puerto Cabezas noch mal gesteigert hat; das haben Moritz und ich schon am eigenen Leibe zu spüren bekommen; ein sehr unschönes Erlebnis. Eines Abends auf dem Nachhauseweg wurden wir von zwei Jugendlichen überfallen, sie hielten mir eine Machete an die Kehle und haben uns 100 Córdoba abgenommen, umgerechnet knapp 5,5 US$. Für uns nicht viel Geld, aber einen Schrecken eingejagt hat uns das schon und ärgerlich gemacht auf die Regierung, die nach knapp zwei Monaten nach Felix, die Straßenlaternen immer noch nicht hat reparieren lassen; und Dunkelheit lädt hier ein zum ausrauben.

„Mi casa es tu casa“.
Aber abgesehen von diesem schlechten Erlebnis kann ich von den Menschen hier nur Gutes erzählen. Überall, wo man hinkommt, wird man herzlich empfangen, es wird einem immer der beste Platz angeboten sowie Essen und Trinken, auch wenn die Leute selbst nicht viel haben. Diese Anfangsdistanziertheit wie in Deutschland gibt es nicht; man redet miteinander, lacht gemeinsam, auch wenn man sich nicht kennt. Zudem habe ich das Gefühl, dass das zwischenmenschliche Kommunizieren hier viel wichtiger ist; man nimmt sich Zeit und spricht miteinander. Und gerade das macht das Leben doch lebenswert, ohne jetzt übermäßig philosophisch zu klingen zu wollen: der Kontakt zu anderen Menschen.

Liebe Unterstützer, Verwandte, Freunde; alle die ihr mir diesen Aufenthalt hier in Nicaragua ermöglicht; ich möchte euch auf diesem Wege noch mal danken für eure Unterstützung. Ich bin unglaublich froh, all diese Erfahrungen, seien es gute oder schlechte, machen zu können und ich hoffe, ich kann meine Eindrücke und Erlebnisse einigermaßen deutlich machen und an euch weitergeben, sodass ihr an meinem Dienst teilhaben und eventuell auch von meinen Erfahrungen profitieren könnt.
Für Fragen eurerseits stehe ich natürlich immer zur Verfügung.

Viele Liebe Grüße,
Aisabe
Swantje